Sieben Gesundheitsregionen wären ideal

Max Winiger im Interview mit Dr. Carlo Conti – über die Trends im Gesundheitsbereich in der Schweiz, ein träges politisches System und weshalb er sieben Gesundheitsregionen ideal fände.

Healthy Ageing Forum Schweiz: Wie geht es Ihnen?
Carlo Conti: Gut, danke. Ich bin nach vielen Jahren als Regierungsrat wieder als selbständiger Anwalt tätig und gehöre zu denen, die mit 65 nicht in Rente gehen.

Sie sind ja auch Präsident von Basel Tourismus. Ist Basel für die Babyboomer-Generation interessant, nicht nur für einen kurzen Städtetrip, sondern auch zum Leben nach der Pensionierung?
Wir haben in Basel kurze Distanzen. Die Erreichbarkeit ist gut. Basel bietet die Vielfalt eines Dreiländerecks mit unterschiedlichen kulturellen Möglichkeiten. Aufgrund der Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat Basel aber schon heute eine eher ältere Bevölkerung und hat sich entsprechend auch längstens auf deren Bedürfnisse ausgerichtet. Dank der Universität wohnen in Basel aber auch viele junge Menschen, weil die Stadt auch für die jüngere Generation attraktiv ist.

Wenn die Entwicklung aber so weitergeht, dann wird vor allem die Finanzierung eine grosse Herausforderung werden. Wie sollen künftig Infrastruktur und Dienstleistungen finanziert werden, wenn die Steuereinnahmen zurückgehen weil eine ganze Generation in Rente geht?
Die demografische Veränderung wird die zentrale gesellschaftliche und politische Herausforderung der nächsten 15 bis 20 Jahre sein. Unsere Finanzierungsmechanismen und auch die politischen Muster sind noch stark auf Bevölkerungsstrukturen der Vergangenheit zugeschnitten. Da kommen nicht nur im Gesundheitswesen Veränderungen auf uns zu, sondern auch in anderen Bereichen wie beispielsweise der Finanzierung der Altersvorsorge oder der Rolle der Seniorinnen und Senioren in der Gesellschaft.

Im Gesundheitsbereich fällt auf, dass der Anteil der Gesundheitsausgaben gemessen am Bruttoinlandprodukt stetig steigt. Wie lange können wir uns das heutige Gesundheitssystem noch leisten?
Meines Wissens hat die Schweizer Bevölkerung bis anhin noch jede Reduzierung des Angebots abgelehnt. Tatsächlich haben wir aber ein Mengen- und ein Finanzierungsproblem.

Die Möglichkeiten im medizinischen und pharmazeutischen Bereich nehmen zu. Dieser Fortschritt ist mitunter auch ein Grund, warum wir heute eine so hohe Lebenserwartung haben und vor allem auch so lange gesund leben. Kommt dazu, dass heute 80% der Gesundheitsleistungen im Bereich chronischer Erkrankungen anfallen. Dank moderner Medizin und dank Begleitung und Unterstützung kann vielen Menschen mit chronischen Erkrankungen heutzutage geholfen werden. Noch vor 10 oder 20 Jahren wären einige an derselben Krankheit gestorben. Das hat seinen Preis. Andererseits ist der Gesundheitsbereich ein Wirtschaftsmotor geworden und hat in den letzten Jahren substanziell Arbeitsplätze geschaffen. Das Problem dabei: Die Finanzierung erfolgt hauptsächlich über Krankenkassenprämien und Steuergelder. Das ist das Finanzierungsproblem.

Der Gesundheitsbereich ist der grösste Arbeitgeber der Schweiz. Sollten wir nicht beginnen, Gesundheit auch als Wertschöpfungsfaktor für unsere Gesellschaft zu anerkennen?
Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Gesundheitswesens ist in der öffentlichen Wahrnehmung zu wenig ausgeprägt. Das ist so. Und dazu zähle ich auch die exportierende Pharmaindustrie mit ihrer enorm hohen Wertschöpfung und ihrer mitentscheidenden Rolle für unsere positive Handelsbilanz.
Andererseits ist das ein schwacher Trost für eine vierköpfige mittelständische Familie, welche vier Kopfprämien bezahlen muss. Für diese Menschen sind die obligatorischen Ausgaben für unser Gesundheitssystem eine enorme Belastung.
Sie waren bis 2014 auch Präsident der Kantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz und haben das bestehende System mit 26 kantonalen Gesundheitsgesetzgebungen unterstützt. Ein System, das insbesondere bezüglich der Spitalstruktur seit vielen Jahren kritisiert wird. Heute haben wir rund 300 Spitäler und Spezialkliniken in unserem Land. Der Spitalbereich generiert über die Hälfte aller Gesundheitsausgaben in unserem Land. Wie lange können wir uns diesen Luxus noch leisten?

Zentralistische Ansätze mit der Tendenz zu überbordenden Regulierungen sind für unsere politischen Strukturen keine Lösung. Zentralistische Strukturen tendieren zur Rationierungen. Ich habe keine Anzeichen, dass so etwas in der Schweizer Bevölkerung gewünscht wäre. Richtig ist, dass 26 Gesundheitsstrukturen in der Schweiz heute zu kleinräumig sind. Ich sage das schon lange: man sollte entlang der gewachsenen Agglomerationsräume Gesundheitsregionen bilden. Das wären dann vielleicht sechs oder sieben Regionen mit einer abgestimmten Gesamtplanung innerhalb dieser Regionen. Abgesehen davon sind auch die Krankenkassenprämien noch kantonal geregelt. Das ist versicherungsmathematisch auch nicht mehr tauglich.

Sie haben es gesagt: unser politisches System orientiert sich in vielen Bereichen noch an der Vergangenheit. Unsere föderalistischen Strukturen lassen wesentliche Änderungen kaum zu, weil Partikulärinteressen überwiegen. Werden wir die Herausforderungen noch rechtzeitig meistern?
Unser politisches System ist träge. Aber unser System kreiert eine breitere Akzeptanz in der Bevölkerung. Ich glaube, dass diese Akzeptanz einen grossen Wert hat. Ich glaube auch, dass die Menschen die kantonalen Grenzen nicht mehr so wahrnehmen, sondern bereits in diesen Agglomerationsregionen denken. Unsere politischen Strukturen hingegen hinken dieser Entwicklung noch nach. Das braucht eben noch Zeit. Das kann man nicht übers Knie brechen.

In welche Richtung zeigen die Trends im Gesundheitsbereich in der Schweiz?
Neben der demografischen Entwicklung unserer Gesellschaft ist die Innovation bei der medizinischen Entwicklung ein grosses Thema der Zukunft. Daraus abgeleitet wird sich das Patientenbild verändern, gefragt sind mehr ambulante Dienstleistungen und deutlich weniger stationäre Leistungen. Wir haben heute zu viele Betten für die Akutmedizin in der Schweiz. Der Patient der Zukunft braucht ganzheitliche, integrierte Versorgungsmodelle. Und als dritten Trend sehe ich die vierte industrielle Revolution mit völlig neuen vernetzten, intelligenten Systemen.
Man wird künftig in der Lage sein, einen Patienten auf Distanz zu betreuen und zu begleiten. Daraus leitet sich eine Veränderung im Dienstleistungsangebot ab. Der Patient muss nicht mehr jeden Tag in die Praxis oder ins Spital. Dennoch wird der Anteil menschlicher Arbeit nicht so stark wie vielleicht in anderen Wirtschaftsbereichen zurückgehen. Es kommen sehr spannende Zeiten auf uns zu.

Max Winiger

Max Winiger ist Kommunikationsberater SW und Mitbegründer des Healthy Ageing Forums Schweiz. Davor war er unter anderem Mitarbeiter von SonntagsBlick, SonntagsZeitung, Bilanz, Weltwoche und Radio DRS sowie Mitglied der Chefredaktion der zweisprachigen Wochenzeitung Biel-Bienne. Er lebt in Zürich.

Dr. Carlo Conti

ist Rechtsanwalt, Partner der Anwaltskanzlei WENGER PLATTNER in Basel, Zürich, Bern und unter anderem Präsident des Advisory Boards der Trendtage Gesundheit Luzern (Bild: Florian Kalotay)